Von Cornelia Schneider auf Montag, 18. Januar 2021
Kategorie: Artikel

Reflektion vor Aktion

​"Denken ist besser als Wissen."​​​​​​​​​​​​​​​

Albert Einstein

Aktivität hat ein gutes Image. Sie gilt - beruflich und privat- als Markenzeichen erfolgreicher Menschen. Sie sind viel unterwegs, bewegen sich und andere mit ihrem Tun, initiieren neue Projekte und entwickeln interessante Produkte oder Dienstleistungen. Nach einem gut gefüllten Arbeitstag treiben sie Sport, ernähren sich bewusst, gehen ins Kino oder Theater, treffen sich mit Freunden oder engagieren sich politisch… Keine Frage: Aktive Menschen haben mehr vom Leben und sind zumeist gesünder und zufriedener als eher wenig aktive Menschen. Diese Tatsache sollte ja schon ausreichen, um Aktivität als hohen Wert zu bewerben.

Was aber, wenn dieser Wert von allem Besitz ergreift und nicht mehr die Zeit bleibt, um innezuhalten und zu reflektieren, ob das was ich da gerade tue auch wirklich das Richtige ist, ob es tatsächlich das ist, was mich meinen Zielen näher bringt und vor allem mit meinen Werten übereinstimmt?

​​​​​​​​​​​​​​​​​​​​​​​​​​​​​​​​​​​So beobachten wir in der betrieblichen Gesundheitsförderung den nachvollziehbaren Wunsch der verschiedensten Akteure, schnell ins Handeln, also in die „sichtbare Aktivität" zu kommen: Bewegungspausen, Rückenschulen, Ergonomieberatung, Resilienztraining, Gesundheitsseminare mit den unterschiedlichsten Inhalten - meistens klingt das plausibel und kann doch wohl nicht schaden- oder?

 Dynamik nicht mit Hektik verwechseln

Wir möchten hier die Empfehlung aussprechen - sowohl auf betrieblicher als auch auf persönlicher Ebene -, die wichtige Phase der Reflexion ausreichend zu würdigen und ihr genügend Raum zu geben.


Auf betrieblicher Ebene sollten u.a. folgende Fragen reflektiert und diskutiert werden:


Ein interessanter Reflexionsansatz, der auf viele betriebliche (und auch private) Belange übertragen werden kann, ist die „Prä- Mortem-Methode", die der Arbeitspsychologe Gary Klein empfiehlt. Wenn Sie vor der Umsetzung einer wichtigen Entscheidung stehen, laden Sie zu einem kurzen Meeting ein. Personen, die bestens mit dieser geplanten Entscheidung vertraut sind, konfrontieren Sie mit folgendem Szenario: „Stellen Sie sich vor, wir sind ein Jahr weiter. Wir haben die Entscheidung so umgesetzt wie besprochen. Das Ergebnis ist niederschmetternd. Wir sind gescheitert. Bitte entwerfen Sie in zehn Minuten eine kurze Geschichte, die erklärt, wie es zu diesem Misserfolg kam. Diskutieren Sie im Anschluss die Konsequenzen für die aktuelle Entscheidung." Auch wenn wir in der Gesundheitsförderung schwerpunktmäßig einen ressourcenorientierten Ansatz verfolgen sollten, kann das kurzfristige Eintauchen in mögliche Misserfolgsszenarien interessante Impulse zur Erfolgssicherung geben.

Gedankenspiele wie bspw. die Prä-Mortem-Methode bilden die Basis für eine strukturierte nachhaltige Projektplanung, die messbar Ziele erreicht. Wer glaubt, die Reflexionsphase übergehen oder abkürzen zu können, der läuft Gefahr, dass inhaltliche gute Maßnahmen verpuffen oder gar das ganze BGM – Projekt nach einigen Monaten wie eine Seifenblase zerplatzt.

 Mehr denken, dann handeln

Dasselbe gilt auch für den persönlichen Bereich der Verhaltensänderung. Wir haben in der Prävention kein Wissens-, sondern ein Verhaltensproblem. Wir alle wissen viel mehr als wir tun. Dieses Umsetzungsproblem kann nicht durch Aktivitätsangebote alleine gelöst werden. Führungskräfte und Mitarbeiter brauchen auch keine Belehrungen oder ausschließlich Trainingsangebote. Sie brauchen vielmehr den zeitlichen und gedanklichen Raum, sich mit ihren inneren Haltungen und ihren Werten auseinanderzusetzen. Auf dieser Basis erst können Verhaltensänderungen, geplant, eingeübt und auch erreicht werden. Leider reichen Erfahrungen alleine nicht aus, um Menschen klüger und handlungsbereiter zu machen. Um aus Erfahrungen zu lernen, müssen Menschen das Erlebte bzw. die Lerninhalte mental und emotional verarbeiten. Für das bewusste Abrufen eines Lerninhaltes, das aktive Erinnern sowie die Umsetzung braucht es im Gehirn die sprachliche Erfassung des Erlebten bzw. des Gelernten. Es muss in Sinnzusammenhängen reflektiert werden. Eine Reflexion ohne Sprache ist – so weit der heutige Wissensstand – nicht möglich. Daher ist die gedankliche und sprachliche Auseinandersetzung mit den Inhalten der Gesundheitsförderung Voraussetzung zur Verhaltensänderung.

Das Medium Sprache in ein ausgezeichnetes „Erkenntnismittel" und somit unverzichtbares Instrument in der Gesundheitsförderung, betrieblich ebenso wie persönlich. Diese neurobiologischen Tatsachen haben für die Planung und Durchführung von Maßnahmen der Gesundheitsförderung weitreichende Konsequenzen:


Aktivität bleibt ein hoher Wert. Dieser Wert gewinnt an Bedeutung, wenn wir der Reflexion des beabsichtigten Handelns im Vorfeld ausreichend Zeit und Achtsamkeit widmen. Diese Reflexion verhindert, dass aus Aktivität Aktionismus entsteht, der letztendlich nur der Gesundheit und Motivation schadet.