Von Cornelia Schneider auf Dienstag, 26. Januar 2021
Kategorie: Artikel

Selbstverantwortung

Lesen Sie hier,

1. wie Sie die Selbstverantwortung Ihrer MitarbeiterInnen steigern können.

2. warum das betriebliche Gesundheitsmanagement ein wichtiger Motor für die Steigerung von Selbst – und Eigenverantwortlichkeit sein sollte

Lesezeit: 7 Minuten

„Verantwortung ist kein gut bezahlter Job, sondern eine unbezahlbare Aufgabe."

Justus Vogt

 Selbstverantwortung - Mitverantwortung: Zentrale Wirkfaktoren im BGM

Betriebliches Gesundheitsmanagement (BGM) trägt dazu bei, die Beschäftigungsfähigkeit von MitarbeiterInnen zu erhalten und zu verbessern. Gesundheitsquoten sollen erhöht und Motivation gesteigert werden. Um BGM erfolgreich im Unternehmen zu etablieren, sind Aktivitäten auf drei Ebenen nötig:

  1. Die Organisationsebene: Welche Strukturen werden benötigt, damit die Rahmenbedingungen des Arbeitens sich gesundheitsfördernd auswirken?

  2. Die Team- und Führungsebene: Was können Führungskräfte und Mitarbeiter gemeinsam in Teams tun, um Gesundheit, Leistungsfähigkeit und Motivation zu erhalten und zu stärken?

  3. Die persönliche Ebene: Was kann jeder Einzelne in seinem persönlichen Verantwortungsbereich tun?

Erst wenn auf diesen drei Ebenen aktuelle Anforderungen sowie vorhandene Ressourcen erkannt und benannt werden, können zielgerichtete Aktivitäten geplant und zusammengeführt werden. Erst durch die Verknüpfung dieser Handlungsebenen kann ein effektives BGM entstehen, das messbar seine Ziele erreicht.

Nur gemeinsam ist das zu schaffen

In der Praxis zeigt sich häufig, dass die unterschiedlichen Akteure den Handlungsbedarf vorzugsweise in den Ebenen sehen, zu denen sie selbst wenig bis gar nichts beitragen können: Die Mitarbeiter und Betriebsräte wünschen sich Veränderungen von „ganz oben", die Geschäftsführung wünscht sich mehr Engagement von den Mitarbeitern und vor allem mehr Selbstverantwortlichkeit, wenn es um die persönliche Gesundheit geht. Diese Wünsche sind verständlich und richtig – so lange es nicht dabei bleibt nur mit dem Finger auf den anderen zu zeigen, um selbst nicht aktiv werden zu müssen. Alle Akteure werden zustimmen, dass es Selbst- und Mitverantwortlichkeit braucht, um im BGM erfolgreich zu werden. Aber wer soll damit beginnen diese Eigenverantwortlichkeit zu zeigen und aktiv vorzuleben? Am Besten: alle zusammen!

Selbstverantwortung kann nicht „verordnet" werden

Denn sie ist das Ergebnis eines Entwicklungs- und Erfahrungsprozesses auf allen drei Ebenen. Die Fähigkeit zur Selbstverantwortung ist eine mentale und emotionale Kompetenz, die erlernt und geübt werden muss. Idealerweise lernen Menschen dies schon in Kindheit, Jugend und jungem Erwachsenenalter. Selbstverständlich kann in jedem Lebensalter neu hinzugelernt werden.

In jedem Alter gilt es zu berücksichtigen, welche Faktoren die Entwicklung von Selbstverantwortung fördern, aber auch welche sie hemmen können. Wird menschliches Denken und Verhalten von außen stark reglementiert, reift Selbstverantwortung nur schwerlich. Wenn Menschen überwiegend Lernerfahrungen in Familie und Beruf gemacht haben, die durch Ratschläge, Anordnungen und Vorschriften geprägt waren im Sinne von „Tue dies so..." – „Vermeide auf jeden Fall, dass..." – „Das ist für dich richtig und das falsch..." – „Es ist verboten, zu..." dann wird die Ausbildung von Selbstverantwortung deutlich erschwert und manchmal unmöglich gemacht.


Zwei Erziehungs- und Führungsstile sind mitverantwortlich dafür, dass Menschen wenig Selbstverantwortung übernehmen:

  1. Der autoritäre Stil, der durch Disziplin die Einhaltung von Vorschriften einfordert. Gehorsamkeit hat Vorrang vor dem eigenen Denken und Entscheiden: „Sie sind hier zum Arbeiten und nicht zum Denken".

  2. Der überbehütende, extrem fürsorgliche Stil, der in der guten Absicht entstanden ist, Menschen zu unterstützen, kann denselben Effekt bewirken. Der Begriff der „Hubschrauber-Eltern" beschreibt überbehütende Eltern, die sich in allen Lebensbereichen ihrer Kinder einmischen, um ihnen Belastungen und Anstrengungen zu ersparen und möglichst alle Wünsche zu erfüllen. Kein Fußweg zur Schule, kein Konflikt mit dem Lehrer, keine Ungerechtigkeit am Ausbildungsplatz, gegen die der junge Mensch alleine kämpfen muss. „Wenn du dich nicht wohl fühlst, musst du das nicht machen..." Diese Eltern sind sofort zur Stelle, um ihre Sprösslinge in jeder Situation von der Selbstverantwortung abzuhalten. Zu viel Unterstützung sowie das Fernhalten von Herausforderungen und Problemen verwehren Menschen die Erfahrung auch in schwierigen Situationen durch eigenes Denken und Handeln zur Problemlösung beitragen zu können. So produziert eine Gesellschaft geringe Frustrationstoleranzen und teilweise maßlose Anspruchshaltungen.

Dasselbe gilt für den Arbeitsplatz. Führungskräfte sind gefordert, eine Balance zu finden: Einerseits Klarheit in Zielen, Aufgaben und Abläufen zu vermitteln, andererseits Spielräume zu öffnen, in denen Mitarbeiter sich ihrer Selbst- und Mitverantwortung bewusst werden und diese leben. Ein gelungenes Beispiel für die Förderung von Selbstverantwortung ist Herr H.: Er litt an Schlafstörungen und innerer Unruhe. Im Rahmen einer Seminarreihe zum Selbstmanagement erarbeitete er mit seinen KollegInnen ein Konzept, um ungestört an schwierigen Aufgaben arbeiten zu können. Unternehmensleitung und Vorgesetzte stimmten der Idee zu und ließen dem Team Spielraum, das Konzept zu testen. Herr H. profitierte zusätzlich, indem er das neue Konzept bestmöglich auf seine Bedürfnisse angepasst umsetzte. Die Selbstverantwortung dehnte er in diesem Zuge auf das Privatleben aus, indem er sein Freizeitverhalten reflektierte und individuelle Verhaltensveränderungen umsetzte. Er fühlte sich somit nicht mehr als Opfer der Umstände, sondern wurde zum Gestalter

Bei der Entwicklung von Selbstverantwortundung spielt Bildung eine bedeutende Rolle. Untersuchungen zeigen, dass Personen ohne Schulabschluss häufiger rauchen und sich weniger bewegen. Gerade im Fertigungsbereich finden wir Mitarbeiter, die weder privat noch beruflich Selbstverantwortung übernehmen müssen und dürfen, bzw. es nie gelernt haben. Hinzu kommt bei bildungsfernen Schichten oft noch mangelndes Wissen über einen gesunden Lebensstil. Es ist daher nicht verwunderlich, dass diese auch häufiger von Krankheiten betroffen sind und insgesamt einen ungesünderen Lebensstil pflegen. Dies bedeutet natürlich nicht, dass jede Person mit unzureichender Bildung ein ungesundes Leben führt. Und es bedeutet auch nicht, dass Selbstverantwortung für diese Personen nicht mehr erlernbar ist. Es zeigt nur, dass es Anreize und Rahmenbedingungen braucht, die die Selbstverantwortung fördern.

Selbst- und Mitverantwortung braucht Rahmenbedingungen und Anreize​

  1. Selbstverantwortung braucht immer wiederkehrende Einladungen
    Da Selbstverantwortung nicht verordnet werden kann, sollten wir Mitarbeiter aller Ebenen immer wieder „einladen", Selbst- oder Mitverantwortung zu übernehmen. Beispiel: Bei auftretenden Problemen zunächst die Lösungskompetenzen der Mitarbeiter einfordern, anstatt schnelle (und häufig auch) effektive Eigenlösungen oder gut gemeinte Ratschläge zu liefern.

  2. Selbstverantwortung braucht das Gefühl von Autonomie
    Je größer das Autonomieerleben, desto größer die Wahrscheinlichkeit, dass sich Selbstverantwortung entwickeln kann. Das bedeutet Freiräume und „Vertrauensräume" zu schaffen, die es Mitarbeitern ermöglichen, eigene Ideen zu entwickeln und Handlungsspielräume zu nutzen. Dabei ist wichtig zu unterscheiden, dass Verantwortung übertragen zu bekommen etwas anderes ist als für etwas verantwortlich gemacht zu werden.

  3. Selbstverantwortung braucht Bewusstheit und Selbstreflexion
    Um die innere Grundhaltung zur Selbstverantwortung weiter zu entwickeln, braucht es zunächst die Bewusstheit dafür. Diese entwickeln Menschen durch Reflexion über die eigenen Möglichkeiten und Grenzen sowie in der Diskussion in unterschiedlichen Kontexten mit unterschiedlichen Menschen. Denken ist „Probehandeln". Deswegen ist es nötig, Mitarbeitern in den unterschiedlichsten Kontexten (Fortbildung, Jahresgespräche, Teamgespräche, etc.) Gelegenheit zu geben, über ihre Selbst- und Mitverantwortlichkeit zu reflektieren und sie zu üben.

  4. Selbstverantwortung braucht die Erfahrung von Selbstwirksamkeit
    Wenn Menschen Selbstverantwortung übernehmen, benötigen sie die Erfahrung der Selbstwirksamkeit, damit die Selbstverantwortung als stabile Grundhaltung integriert werden kann. Das bedeutet, dass sie erleben, dass die Übernahme der Selbstverantwortung sinnvoll, nützlich und wirksam war. Zumindest brauchen sie eine Würdigung ihres Verhaltens.

    Beispiel:
    Ein Mitarbeiter hat in Abwesenheit seiner Vorgesetzten eine Entscheidung getroffen, die sich nur teilweise als nützlich erwiesen hat. Dieser positive Anteil und vor allem die Übernahme der Selbstverantwortung sollte von der Vorgesetzten gewürdigt werden.

  5. Selbstverantwortung braucht Übung und Zeit
    Einstellungs- und damit Verhaltensänderungen können nur gelingen, wenn geübt wird. So wie es im Sport viele Wiederholungen benötigt, bis ein komplexer Bewegungsablauf automatisiert wurde, genauso braucht es auch immer wiederkehrende Übungssituationen um die Haltung der Selbstverantwortung zu festigen und weiter zu entwickeln.

Betriebe können auf den drei Ebenen die Selbstverantwortung fördern

Organisationsebene
Beim Etablieren von Selbstverantwortung besteht auf allen Ebenen eine Hol- und Bringschuld: Damit Führungskräfte Selbstverantwortung von ihren Mitarbeitern einfordern können, brauchen sie die Unterstützung der Organisationsebene. Beispiel: Die Verankerung der Selbstverantwortung in den Leitlinien und Festschreibung in den Arbeitsaufgaben aller Mitarbeiter des Unternehmens.

Teamebene
Beispiel: Führungskräfte, die in ihrer täglichen Arbeit durch Führungsstil und beispielhaftes Verhalten Impulse zur Selbstverantwortung geben. Teambesprechungen und –Veranstaltungen, in denen Selbstverantwortung immer wieder in Kombination mit unterschiedlichen Themen und Aufgaben reflektiert und diskutiert wird.

Persönliche Ebene
Beispiel: Kurzschulungen zum Thema Gesundheit, in denen Mitarbeiter ohne Belehrung Impulse zu Selbstverantwortung im persönlichen Gesundheitsverhalten bekommen und gleichzeitig angeregt werden, über ihre Selbstverantwortung nachzudenken und im Kollegenkreis zu diskutieren.

Selbst- und Mitverantwortung sind nicht nur psychologische Konstrukte oder theoretische Annahmen. Sie haben biologische, psychologische und soziale Grundlagen, sie sind entwickelbar und werden ebenso auf diesen Ebenen wirksam. Wenn es gelingt, Menschen kontinuierlich in ihrer Selbstverantwortlichkeit zu stärken, dann wird dies nicht nur zu höheren Gesundheitsquoten, sondern auch – beruflich wie privat – zu mehr Zufriedenheit und Effizienz führen.

Reflektieren und diskutieren Sie folgende Fragen.

  1. Für welche Lebens- und Arbeitsbereiche übernehme ich Selbstverantwortung? Wie sieht das konkret aus? Woran können andere erkennen, dass ich selbstverantwortlich handle?

  2. Wo wünsche ich mir „Selbst- und Mitverantwortlichkeit" von anderen? Was tue ich dazu, Menschen in diesem Entwicklungsprozess zu unterstützen? Was könnte ich künftig mehr dazu tun?

  3. Wie sieht meine Selbstverantwortung in meinem persönlichen Gesundheitsverhalten aus? Habe ich Veränderungsbedarf? Woran werden andere merken, dass ich hier mehr Verantwortung übernehme?