Menschliche Gehirne sind anachronistische Modelle und steuern Verhalten nach neurobiologischen Prinzipien, die der Menschheit das Überleben sicherten. Wenn man Evolutionsbiologen glauben darf, haben sich unsere Gehirne und deren Grundfunktionsweisen seit etwa 50.000 Jahren kaum verändert. Die Hauptaufgabe des Gehirns bestand darin, in der aktuellen Situation das Überleben zu sichern; sie bestand nicht darin, Gesundheitsratschläge zu befolgen, deren Effekte sich häufig erst in Jahren oder Jahrzehnten messen lassen. Damit der Urmensch überleben konnte, hatte sein Gehirn »Grund- programmierungen«, die in uns allen aus der Vergangenheit noch aktiv sind. Ganz vereinfacht und auf das Gesundheitsverhalten bezogen lauten diese Sets zum Beispiel für das Bewegungs- und Ernährungsverhalten sowie den Umgang mit Konflikten beziehungsweise Stress wie folgt:
Bewegung
Der biologische (Alt-)Auftrag lautet: »Bewege dich schnell und heftig, aber nur, wenn du vor wilden Tieren flüchten musst oder wenn du auf Futtersuche bist und Fressfeinde in deiner Nähe sind; oder aber, wenn du, als Mann, ein für die Fortpflanzung geeignetes Weibchen siehst und dabei viel Konkurrenz hast, denn der Schnellere gewinnt. Ansonsten spare dir deine Energie und bleib am Feuer sitzen.«
Ernährung
Der biologische (Alt-)Auftrag lautet: »Wenn du was zu essen siehst, hau rein. Iss ruhig über deinen Hunger. Denn der nächste Winter kommt bestimmt, und am besten legst du dir für diese Zeit Reservepolster an. Iss vor allen Dingen Zucker, denn er ermöglicht es dir, schnell zu flüchten oder zu kämpfen, wenn es gefährlich wird; und gegorene Früchte haben schon immer Schmerz jedweder Art gemindert.« Es ist evolutionär in unserem Programm nicht vorgesehen, eiweißreich, dabei kohlenhydrat- und fettarm ausgewogen zu essen. Und schon gar nicht vorgesehen ist es, dass wir aufhören zu essen, bevor wir satt sind. Wir alle dürften überwiegend die Nachkommen derer sein, die sich evolutionär durchgesetzt haben, weil es ihnen unter anderem gelang, gute Depots für den Winter oder längere Hungerperioden anzulegen.
Umgang mit Konflikten
Der biologische (Alt-)Auftrag lautet: »Hau drauf oder hau ab!« Nein, im Umgang mit anderen Menschen hauen wir natürlich (fast) nicht mehr körperlich drauf, aber verbal durchaus – wenn teilweise auch versteckt und subtil. Und auch das Muster »Hau ab« ist nach wie vor bei der Bearbeitung von Konflikten weitverbreitet. Die häufigste Art der Konfliktbewältigung ist immer noch das »Totschweigen« oder gerade »Wichtigeres tun zu müssen«, anstatt sich dem Konflikt zu stellen. Übrigens ist im Weltgeschehen der Modus des »Hau drauf« im Konfliktfall in beängstigender Weise existent.
Wir sollten uns klar machen, dass nur ein Wimpernschlag in der Zeit der menschlichen Geschichte vergangen ist, seit wir versuchen, diese alten Verhaltensmuster zu überwinden und an unser modernes Leben anzupassen. Manchmal gelingt das schon erstaunlich gut – manchmal! Wir sind diesen alten Grundprogrammierungen nicht hilflos ausgeliefert, denn wir können (zeitweise) unsere Vernunft einsetzen und lernen, sie mit unseren Gefühlen in Einklang zu bringen. Das setzt allerdings voraus, dass wir nicht unter Druck beziehungsweise unter Stress stehen. Je gestresster wir uns fühlen, desto mehr werden diese alten Muster durchschlagen. Jeder von Ihnen kennt es, dass die besten Vorhaben zum Erliegen kommen, wenn man in beruflichen oder privaten Situationen unter großen Belastungen steht.
Gesundheitsförderung vereinfachen
Die Gesundheitsförderung bietet Ihnen vier Handlungsebenen an: Bewegung, Ernährung, seelische Ausgeglichenheit sowie Arbeit und Soziales.
Die Vier Säulen der Gesundheit
Die meisten Menschen wissen sehr genau, was sie essen sollten, wie viel und wie sie sich bewegen sollten und welche Verfahren zur Entspannung hilfreich sein könnten, welche arbeitsplatzbezogenen Verhaltensänderungen günstig wären, aber oft folgen sie diesen Erkenntnissen nicht.
Reflexion: Die Säulen meiner Gesundheit
Auf welcher der vier Handlungsebenen – Bewegung, Ernährung, seelische Ausgeglichenheit sowie Arbeit und Soziales – haben Sie Veränderungsbedarf und wo können Sie tatsächlich Einfluss nehmen? Welche Maßnahmen wären für Sie hilfreich?
So werden Ihre Pläne Wirklichkeit
Alle nachhaltigen Veränderungen des Verhaltens gehen von innen nach außen und nicht umgekehrt. Daher ist es notwendig, dass Sie sich Klarheit darüber verschaffen, welche Verhaltensziele Sie auf welcher der Handlungsebenen definieren wollen. Diese Ziele sollten zu Ihrem Persönlichkeitstyp, zu Ihrem Alter sowie zu Ihrer aktuellen Lebens- und Arbeitssituation passen.
Verschiedene psychologische Schulen und Modelle geben ähnliche (und teilweise auch widersprüchliche) Hinweise dazu, wie Ziele besser zu realisieren seien. Hier die aus unserer Sicht wichtigsten Kriterien, die Ihnen helfen können, Ihre Pläne umzusetzen:
Niedrigschwellige Ziele auswählen:
Das bedeutet, die Hemmschwelle für die angestrebte Veränderung niedrig zu halten und das Vorhaben in möglichst kleine und gut realisierbare Einheiten zu verpacken. Zum Beispiel kann das Vorhaben, zweimal pro Woche eine halbe Stunde stramm spazieren zu gehen, für Sie besser sein, als sich vorzunehmen, viermal wöchentlich zehn Kilometer zu joggen.
Gefühl und Verstand synchronisieren:
Wählen Sie Ihre Ziele so aus, dass die Vernunft sagt: »Ja, das ist für meine Gesundheit sicher sinnvoll« und Ihr Gefühl zustimmt: »Ja, das erscheint mir machbar und dabei werde ich mich auch wohlfühlen.« Ihre innere Konferenz sollte so lange tagen, bis sich die zwei Parteien auf einen tragfähigen Kompromiss geeinigt haben.
Viele Pläne scheitern an der Größe und Menge der Vorhaben. Die Ernährung umzustellen, ab morgen nicht mehr zu rauchen, viermal wöchentlich Sport zu treiben und gleichzeitig auch noch eine Entspan- nungsmethode zu lernen dürfte die meisten kognitiv und körperlich überfordern. Als Faustregel kann gelten: Je komplexer und neuartiger die Ziele, desto weniger Ziele sollten Sie sich stecken.
Ruhige Zeiten nutzen:
Starten Sie mit der Zielumsetzung in beruflich und privat eher ruhigen Zeiten, denn Ihr Gehirn benötigt viel Energie und kann Veränderungsprozesse in stressreichen Zeiten nur schlecht umsetzen.
Bildhafte Erinnerungshilfen suchen:
Nutzen Sie die Macht Ihres Unbewussten, indem Sie Ihr Ziel visualisieren. Das Gehirn verarbeitet Bilder innerhalb von Millisekunden und ohne Beteiligung des bewussten Denkens. Diese Erkenntnis nutzt die Werbung: Sie bombardiert uns mit positiven Bildern, die unseren Gehirnen vermitteln: »Wenn du das kaufst, dann geht es dir gut.« Suchen Sie sich ein positives Bild, das für Ihr persönliches Ziel steht.
Dieses Bild kann das Ziel symbolisch oder auch konkret vertreten. Eine Hängematte, eine Naturszene oder ein Tier können symbolisch für Ihr Bedürfnis nach der Pause im Arbeitsalltag stehen und Sie daran erinnern. Dieses Bild kann auf dem Desktop Ihres PCs, auf dem Display Ihres Handys oder als Postkarte auf Ihrem Schreibtisch stehen. Auch ohne dass Sie bewusst an Ihr Vorhaben denken, kann dieses Bild Ihr Unbewusstes stimulieren, Ihren Plan umzusetzen.
Viele Wiederholungen einplanen:
Je nach Komplexität des neuen Verhaltensmusters und je nachdem wie stark die alten Muster mit den neuen konkurrieren, wird auch die Zeit variieren, die Sie benötigen, um das neue Verhalten stabil aufzubauen. So dürfte es relativ schnell möglich sein, sich anzugewöhnen, jeden Morgen ein Glas Gemüsesaft zu trinken. Viel länger wird es hingegen dauern, ein Feierabendritual, das 20 Jahre lang im Anstellen des Fernsehers bestanden hat, gegen ein neues Ritual, zum Beispiel einen Abendspaziergang, auszutauschen. Es gibt kein Lernen ohne Wiederholung.
»Wenn-dann«-Pläne erstellen:
Sie haben sich beispielsweise vorgenommen, Ihren Alkoholkonsum zu verändern. Sie möchten nicht mehr täglich zum Beginn des Feierabends zur Entspannung das Glas Wein trinken, sondern dies nur noch an wenigen ausgewählten Tagen tun. Dies gelingt in der Regel, wenn Sie entspannt und ohne Ärger nach Hause kommen. Sobald Sie sich sehr gestresst fühlen, vergessen Sie Ihren Plan. Hier könnte Ihre Wenn-dann-Formulierung folgendermaßen lauten: »Wenn ich abends nach Hause komme und mich sehr verärgert oder gestresst fühle, dann trinke ich eine Tasse Tee und lese 15 Minuten in meinem Lieblings- buch.« Diese »Wenn-dann«-Pläne sind in ihrer Wirksamkeit sehr gut bestätigt und lassen sich auf sehr viele unterschiedliche Lebens- und Arbeitsbereiche anwenden: »Wenn mein Chef mich zum wiederholten Male zehn Minuten vor Ende der Arbeitszeit auffordert, noch Arbeit X zu erledigen, dann sage ich freundlich und bestimmt: ›Ich möchte diese Arbeit sorgfältig und gründlich erledigen. Das ist in der Kürze der verbleibenden Zeit heute nicht machbar. Ich werde mich sofort morgen als Erstes darum kümmern.‹« Es ist sehr hilfreich, solche Formulierungen schon fertig im Kopf zu haben, um sie in der Situation möglichst schnell und zuverlässig abrufen zu können.
Rückschläge einplanen:
Erfolge benennen und festigen – »Eigenlob stärkt«:
Sprechen Sie über Ihre Erfolge. Jedes Mal, wenn Sie anderen darüber berichten, wie erfolgreich Sie in der Umsetzung ihrer Ziele sind, festigen Sie die neuronalen Netzwerke in Ihrem Gehirn, die gerade dieses Verhalten produzieren. Loben Sie sich selbst und belohnen Sie sich für Ihre Erfolge.
Sie ahnen es schon: Die beschriebenen Hinweise (es sind keine einfachen Tipps!) zur Zielerreichung sind in der Umsetzung häufig sehr anspruchsvoll. Daher ist es durchaus sinnvoll, sich bei Bedarf einen Profi zur Unterstützung zu gönnen. Ein guter Gesundheitscoach hilft sowohl bei der individuellen Zielfindung als auch bei der Verhaltensänderung.
Die Macht der Rituale nutzen
Ein Ritual ist ein zeitlich und inhaltlich festgelegter Ablauf, der nicht mehr verhandelbar ist. Im Kontext Gesundheit und älter werden können Sie biologische (zum Beispiel bestimmte Atem- oder Körperübungen), psychologische (zum Beispiel die jährliche Reflexion von Lebens- und Arbeitszielen) und auch soziale Rituale (zum Beispiel Freundschafts- oder Kollegentreffen) überdenken. Für viele Menschen sind Geburtstage, Weihnachten oder andere Feiertage solch festgelegte Rituale. Aber auch kleine Alltagshandlungen wie das morgendliche Zähneputzen oder der Abendspaziergang gehören für viele fest zum Tagesablauf, ohne jeden Tag neu hinterfragt zu werden. Oder denken Sie sich morgens:
»Putze ich heute meine Zähne oder nicht«? Wahrscheinlich kommt Ihnen diese Frage gar nicht in den Sinn, weil diese Handlung völlig automatisiert ist. Wenn Sie Verhalten also langfristig verändern wollen, sodass Sie es selbst dann beibehalten, wenn der Alltagsstress Sie voll im Griff hat, dann kann eine Ritualisierung sehr hilfreich sein. Sicherlich haben Sie bereits eine Reihe von Ritualen entwickelt, die Sie sich als Ritual überhaupt nicht mehr bewusst machen: Vielleicht frühstücken Sie täglich gut und in Ruhe; oder Sie gehen jeden Freitagabend in die Sauna; oder Sie gehen jeden ersten Samstag im Monat mit Freunden wandern oder gönnen sich einmal im Jahr einige Tage Auszeit an einem ruhigen Ort (oder an einem ganz unruhigen).
Nun gilt es, im Laufe der Jahre entstandene Rituale daraufhin zu hinterfragen, ob sie noch angemessen und dienlich sind oder ob sie zugunsten anderer ausgetauscht werden sollten. Die folgende Übersicht soll Sie dabei unterstützen, alte und neue Rituale zu überdenken. Ihre künftigen Rituale können Sie in die anschließende Reflexion 4 eintragen.
Bei der Reflexion zu den Ritualen können folgende Fragen hilfreich sein:
- Welchen Bedarf an Veränderung spüre ich in meinem Bewegungs-, Ernährungs- und Erholungsverhalten?
- Welche sozialen Aktivitäten würden mir guttun?
- Wie müssen diese Aktivitäten gestaltet sein, damit ich mich auf deren Umsetzung freuen kann oder zumindest keinen inneren Widerstand dagegen spüre?
Bei der Einführung neuer Rituale hilft das Motto: Wenig und exzellent! Gleichzeitig sollten diese Neuerungen in der Art gestaltet sein, dass sie Ihnen ein gutes Gefühl bei der Umsetzung vermitteln.