„Wer noch nie einen Fehler gemacht hat, hat sich noch nie an etwas Neuem versucht."
Albert Einstein
Wann haben Sie Ihren letzten „Bock geschossen"?
Selbstverständlich unterlaufen uns beruflich sowie privat immer wieder Fehler. Mit der Wissensexplosion geht auch eine Fehlerexplosion einher. Gleichzeitig erleben viele Mitarbeitende eine mangelnde Fehlerfreundlichkeit und scheuen sich, ihre Fehler zuzugeben oder sie verdrängen sie, um möglichen negativen Konsequenzen aus dem Weg zu gehen - und das hat fatale Folgen für die Arbeitseffizienz, die Innovationsmöglichkeiten, die Motivation und auch für die Gesundheit der Mitarbeitenden. Bei der Fehlerfreundlichkeit geht es um mehr als nur um Fehlertoleranz, also das Zulassen von Fehlern. Es handelt sich um die wertschätzende Aufmerksamkeit, das bewusste Miteinkalkulieren bis hin - in Einzelfällen - zum aktiven Herbeiführen von Störungen, um ggfs. Innovationen voranzutreiben oder einen Lernvorgang zu intensivieren. Beispiel: Ein Therapeut gibt dem Patienten die Gehhilfe ganz bewusst auf die für ihn falsche Körperseite, damit der Patient selbst die Erfahrung machen kann, wie es für ihn besser gehen könnte. In diesem Beitrag soll es aber jetzt nicht um diesen Aspekt des aktiven Erzeugens von Fehlern gehen, sondern um die bewusste und intensive Hinwendung sowie die wertschätzende Beschäftigung mit Fehlern am Arbeitsplatz.
Wir alle machen fast täglich Fehler, häufig geringfügige, manchmal gravierende mit Konsequenzen für uns, für unsere Arbeit und unsere KollegInnen. An welche kleinen und auch größeren Fehler erinnern Sie sich? Mit wem haben Sie darüber gesprochen? Was haben Sie daraus gelernt? Was werden Sie in einem ähnlichen Fall beim nächsten Mal sicher anders machen? Der Mensch lernt leider keineswegs automatisch aus Fehlern. Manche Menschen werden älter und klüger, andere werden nur älter. So erzählte mir ein Klient, er werde demnächst zum vierten Male heiraten. Auf mein erstauntes Gesicht hin, erwiderte er wie aus der Pistole geschossen: „Die drei Scheidungen hatten nichts mit mir zu tun."Aha? Wow!
Fehler sind einerseits unumgänglich, andererseits sind sie immer Lernchancen - sofern wir denn bereit sind, uns mit ihnen auseinanderzusetzen. Für die gelingende Auseinandersetzung braucht es 4 zentrale Voraussetzungen.
- Selbstreflexionsbereitschaft und -fähigkeit:
So einfach es klingt, so schwer tun sich viele damit, sich selbst zu beobachten und sich und ihre Verhaltensweisen in Frage zu stellen. Die Ursachen dafür können sowohl in der Umwelt als auch in der Person selbst liegen: Eng getaktete Zeitpläne und mangelnder Raum zur Reflexion. Mangelnde Übung, sich selbst zu hinterfragen. Keine Routinen in den Arbeitsabläufen, die Gelegenheit zur Reflexion bieten wie bspw. Besprechungen, bei denen Fehlerbeschreibungen ein festes Ritual sind, fehlende Tools, um Gedanken zu klären und zu strukturieren (ja, auch das Nachdenken braucht Handwerkszeuge!). Mangelndes Selbstvertrauen, das eigene Handeln in Frage zu stellen. Und schlicht Angst davor, dass die eigenen Überlegungen das mühselig aufgebaute Selbstbild ankratzen könnten. - Selbstsicherheit - zwischen Depression und Größenwahn?
Eigene Verhaltensweisen oder Handlungen in Frage zu stellen, kann für manche Menschen eine Bedrohung ihres „Heiligtums" - ihres Selbstbildes, bedeuten. Das wird umso eher der Fall sein, je weniger sich die Person ihrer Stärken und Fähigkeiten bewusst ist. Was von außen als mangelnde Kritikfähigkeit beschrieben wird, ist im Kern häufig eine tiefe Selbstverunsicherung. Diese Menschen können die Konfrontation mit Fehlern nur schwer ertragen, weil sie dies als Angriff auf ihr gesamtes Selbstbild erleben. Häufig hatten solche Menschen in ihrer Biografie wenig Ressourcenstärkung und Kritiksituationen als persönlich kränkend erlebt.
Selbstverständlich gibt es aber auchMenschen, die einer selbstherrlichen, selbstüberschätzenden und arroganten Fehleinschätzung unterliegen. Ein satirisches Beispiel dafür ist der Gerichtsmediziner Professor Börne aus dem „Tatort", der sich selbst und damit seine Haltung in einer Folge sehr treffend beschreibt: " ICH MACHE KEINEN FEHLER". Diesen Typus finden wir nicht selten in den oberen Hierarchieebenen wieder. - Gute Vorbilder
Wir alle lernen auch „am Modell". Wer ist Ihnen ein Vorbild im Umgang mit den eigenen Fehlern? In der Familie, im Freundeskreis, bei der Arbeit? Im Idealfall haben Sie KollegInnen und Vorgesetzte, die ihre Fehler offenen benennen, und andere an den daraus resultierenden Lernprozessen teilhaben lassen. Nach meiner Erfahrung ist das aber leider keinesfalls die Regel, sondern eher die Ausnahme. Führungsverantwortliche sollten sich dieser Vorbildfunktion sehr bewusst sein, und die Benennung ihrer eigenen Fehler sollte eine Selbstverständlichkeit sein. Erst dann, wenn in einem Unternehmen die Offenlegung von Fehlern der Vorgesetzten eine Selbstverständlichkeit geworden ist, werden die Mitarbeitenden lernen, ihre Fehler zu kommunizieren und damit Lerngelegenheiten für sich und die KollegInnen zu schaffen.
Ein Beispiel: in einem chirurgischen OP-Team kam es zu einer extrem hohen Fehlerquote. In einem Teamprozess sollten Ursachen und Verbesserungsoptionen geklärt werden. Der Chefarzt berichtete mir im ersten Vorbereitungsgespräch: „Es gibt massive Probleme im Team. Die Leute sind nicht konzentriert und nachlässig. Sie müssen denen klarmachen, dass das so nicht geht." Auf meine Nachfrage, welche Fehler er in der letzten Zeit gemacht und kommuniziert habe, antwortete er: „Ich kann mich jetzt gerade nicht daran erinnern, einen Fehler gemacht zu haben und wenn, dann wäre es wohl nicht vorteilhaft, dies in das Team zu kommunizieren. Das wäre ja eine Art Freibrief für die andern." Welche Auswirkung hatte diese Haltung wohl in seinem Team? - Kultur der „Fehlerfreundlichkeit" - einen sicheren Rahmen geben
Auf die Konfrontation mit Fehlern folgen leider allzu oft Rechtfertigungen. „Das ist nur passiert, weil… ich keine Zeit hatte… mir die Information gefehlt hat …". Rechtfertigungen blockieren den möglichen Lernprozess, denn man sieht in die Vergangenheit, was vielleicht die Ursache des Fehlers gewesen sein könnte. Häufig werden hier Verantwortlichkeiten auch auf Dritte verschoben. Besser wäre es, man würde sich auf eine mögliche Lösung konzentrieren. Außerdem neigen Menschen, die sich rechtfertigen, dazu, das gerechtfertigte Verhalten zu wiederholen: es gibt ja schließlich einen Grund dafür! Deswegen sollten Vorgesetzte auch die Frage „Warum ist das passiert?" eher zurückhaltend äußern und vielmehr die Frage stellen: "Was kannst du daraus lernen? „Was kannst du deinen Kollegen mitgeben, damit sie ebenfalls etwas daraus lernen? Wie würdest du in Zukunft diese Situation bewältigen, damit das Ergebnis positiv ausfällt?" Eine häufige aber völlig abwegige Reaktion lautet: „Das habe ich nicht absichtlich gemacht!" Nein, ein Fehler passiert selbstverständlich nicht absichtlich, sonst wäre es kein Fehler, sondern Sabotage und somit ein handfester Kündigungsgrund. Eine Ausnahme bilden die in Abschnitt eins schon genannten bewussten Fehler, um neue Lernmöglichkeiten oder Innovationen zu schaffen.
Folgende Fragen können Sie dabei unterstützen, eine bessere Fehlerkultur im Arbeitsleben zu entwickeln:
- Kann ich mit gutem Beispiel vorangehen und eigene Fehler kommunizieren?
- Diskutieren wir im Kollegenkreis, welche Handlungsalternativen in einem ähnlich gelagertem Fall möglich wären?
- Bedanke ich mich und zeige ich Wertschätzung, wenn jemand seine Fehler benennt?
- Belege ich Fehler nicht mit negativen Konsequenzen?
- Plane ich in Besprechungen Zeit sowohl für Erfolge als auch für Fehlerberichte ein?
- Kann ich Letzteres als festes Ritual etablieren: einmal im Monat zu Beginn der Besprechung starten: Was war dein größtes Erfolgserlebnis und was dein größter Fehler in den letzten Wochen?
- Berücksichtige ich den Umgang mit Fehlern in Jahresgesprächen und bei der Zeugniserstellung?
- Habe ich eine überwiegend ressourcenorientierte Haltung?
Cornelia Schneider